von Finn Hennig
Am Immobilienmarkt hallt seitdem ein Weckruf wider. Einer, der mehr Herz, Kreativität und Innovation am Bau verlangt. Es ist ein Ruf danach, das Bedürfnis nach Ruhe, Raum, Flexibilität und Licht stärker in Planungs- und Gestaltungsprozesse einzubeziehen. Die Folge: Nie zuvor waren Häuser und Wohnungen von besonderer Lebensqualität so gefragt wie heute.
Der Wunsch vieler: Ein Zuhause zu finden, dass nicht nur Grundbedürfnisse erfüllt, sondern eines, das Seele hat. Ein Zuhause, in dessen feinfühliger Architektur und Ausgestaltung man sich entfalten und fallenlassen kann.
Häuser und Wohnungen dieser Art bezeichnen wir als Otherhomes.
Und was ein Gebäude nicht nur liebenswert, sondern auch besonders macht – dafür lassen sich drei Grundprinzipien finden.
Auf dem Nachbargrundstück meines Elternhauses habe ich als Kind den Umbau einer Backsteinscheune zum Wohnloft erlebt. Dabei habe ich gelernt, dass man ein Zuhause sehr viel unkonventioneller denken kann, als es die meisten Leute tun.
Die Bauherren waren dabei nicht etwa Architekten oder Projektentwickler, sondern einfache Postboten. Ihr Kapital: jede Menge Mut und Schaffensdrang.
In jahrelanger Kleinarbeit gelang es ihnen, einen ehemaligen Rinderstall und den Vorhof in ein lebenswertes und blühendes Wohnensemble zu verwandeln. Eines, das auch nicht ganz frei von Luxus ist. Aus dem mit Beton befestigten Grundstück ist ein uneinsehbarer Garten mit Swimmingpool, Sonnenterrasse und Vogelvolieren geworden.
Hinter dem ehemaligen Scheunentor verbirgt sich eine Eingangshalle sakraler Dimension, in der ein Billardtisch, zwei Oldtimer und Feiern mit bis zu hundertfünfzig Gästen Platz finden können.
Backstein und alte Balken aus skandinavischem Lärchenholz geben dem Raum eine Wärme und Struktur, die sich auch in den Wohnräumen fortsetzt. Schon beim Betreten spürt man, dass man sich diesen zauberhaften Ort mit Geld alleine niemals hätte kaufen können. Als Neubau schon gar nicht.
Es war der gut durchdachte Transformationsprozess, welcher dieser Immobilie ihren besonderen Charakter gibt.
Sehr viel später, während meiner Zeit an der Universität, schien es zwei Arten von Studentenwohnungen zu geben: Viele waren eine zusammengewürfelte Ansammlung von Möbeln und Plunder. Andere hingegen wurden für diese Transitzeit des Lebens feinfühlig ein- und hergerichtet. Möbelstücke, Farben und Dinge des täglichen Bedarfs waren hier präzise aufeinander abgestimmt. Sie ergaben ein Gesamtbild, dass über die Einfachheit der Materialien hinwegtäuschen konnte.
Es wurde klar, dass gutes Wohnen keine Budgetfrage sein musste. Zumindest nicht immer. Natürlich fällt es leichter, eine lichtdurchflutete Altbauwohnung herzurichten. Doch wer ein gutes Auge hat, dem gelingt es auch, dass Schönheit in die einfachsten vier Wände Einzug hält.
Idealerweise ist ein Sinn für Ästhetik aber bereits in der Gebäudeplanung wegweisend. So, dass Fenster, Türen, Ebenen und Materialien nach einem Schema angeordnet werden, welches den Geist beruhigt und einer klaren Formensprache folgt.
Ästhetik sollte ein Gebäude vollständig durchdringen. Sie sollte unausweichlich und erkennbar sein – auch für diejenigen, die glauben, wenig Gespür dafür zu haben.
Gleichzeitig muss sie sich aber auch zurücknehmen können. Denn erst, wenn der Ästhetik ein Widerspruch aus Präsenz und Zurückhaltung gelingt, wird sich die Individualität der Hausbewohner in ihrer Schönheit spiegeln.
Menschen lieben Geschichten. Und während sich die Welt in Neu- und Altbaulover teilt, haben beide Gebäudeklassen das Potenzial, von Beginn an großartige Stories zu erzählen.
Den Anfang einer jeden Geschichte macht dabei immer die Intention der Planer. War das Motiv der Bauherren edel, oder galt es als kontrovers? Welcher höheren Idee folgen Architektur und Wohnkonzept?
So hatte ein modernistisches Architektenhaus vielleicht zum Ziel, mithilfe großer Glasfronten und Schiebetüren einen fließenden Übergang zwischen drinnen und draußen zu schaffen. Einfach nur, weil sich die Bauherren wünschten, dass die Kinder ganz von selbst mehr Zeit im freien verbringen.
Nur wer diese Intention der Planer kennt, versteht das Haus.
Die Wohnräume einer alten Kaufmannsvilla hingegen könnten einem völlig anderen Zweck gedient haben. So sind dort vielleicht größere Empfänge beherbergt worden, welche den Geist des Hauses noch heute prägen.
Wenn man dann noch weiß, dass die Hölzer des Dachgebälks einst im Schlepptau eines Kutters ihren Weg über die Ostsee gefunden haben, ergibt sich ein dichtes Bild, welches das Gebäude liebenswürdig und einmalig macht.
Es ist also das Wissen um einen Ort und seine Umstände, welches ihm einen hohen ideellen Wert verleiht.